er sagt denn, dass Öko und Premium nicht zusammengehören?

Kein Müll im Friseursalon! Öko-Spleen oder selbstbewusster, nachhaltiger Lebensstil? Juliette Beke ist seit 21 Jahren Friseurin und hat vor gut einem Jahr ihren Salon „Gesunde Haare – Zero Waste“ in Dresden eröffnet. Der Name ist Prinzip: kein Müll, nachhaltige Produkte sowie selbstgefertigte Haarsprays und Gels gehören zum einzigartigen Konzept der Unternehmerin.

Ihre Kundinnen und Kunden bedient Juliette Beke in einem traumhaft schönen, 240 Quadratmeter großen, denkmalgeschützten Jugendstilgebäude mit herrlicher Glaskuppel. Sechs Bedienplätze hat sich die Calligraphy Cut-Trainerin in dem ehemaligen Lesesaal des Lahmann Sanatoriums eingerichtet – die Stühle sind aus dunkelrotem, veganen Leder gefertigt, die Möbel aus Ulmenholz. FMFM wollte von Juliette wissen, wie viel Mut dazu gehört, als reiner Naturfriseur mit Zero Waste Konzept einen Salon zu eröffnen? Und wird ein Öko-Unternehmen überhaupt als Premium Salon angesehen?

„Ich möchte gesunde, natürlich glänzende Haare mit eigenem Willen und viel Sprungkraft. Das funktioniert nur, wenn wir MIT der Natur gehen und nicht dagegen.“

Juliette, was hat Dich an Deinem Beruf als konventionelle Friseurin gestört?

Als Friseurin und Fachtrainerin haben mich der Verpackungsmüll, das Einwegmaterial (Servietten, Alufolien, Einmalhandschuhe etc.) und vor allem die Inhaltsstoffe in allen Produkten wie Pflege, Styling oder Haarfarben, gestört. In den meisten Produkten befinden sich Flüssigkunststoffe, die als Filmbildner, Konsistenzgeber, Glanzbildner und Kämmbarmacher fungieren. Leider setzen sich diese Kunststoffe in den Eingang der Haarfollikel. Sie machen einen Stoffwechsel der Haut schwer möglich und der Wuchs des Haares wird durch diese Verklebungen verlangsamt. Das bedeutet letztendlich, dass durch konventionelle Art erst die Struktur des Haares extrem abgebaut wird, um es dann wieder künstlich aufzubauen.

Wann hast Du umgeschult zur Naturfriseurin - wo hast Du Dir das Knowhow angeeignet?

Anfang 2020 habe ich bei CulumNatura in Österreich begonnen, mich zur Naturfriseurin umzuschulen. Einige Seminare fehlen mir noch. Naturfriseurin zu sein ist ja nicht nur ein Konzept, sondern eine Lebenseinstellung. Es ist kein Trend oder eine Mode. Ich finde, dass wir – beziehungsweise die Friseurindustrie – einfach zu weit gegangen sind.

Je mehr wir die Haare und ihre Struktur zerstören, umso mehr Produkte brauchen wir, um sie wieder zu „kitten“. Ich möchte gesunde, natürlich glänzende Haare schaffen, die ihren eigenen Willen haben mit viel Sprungkraft. Das funktioniert nur, wenn wir MIT der Natur gehen und nicht dagegen. Da ich seit sieben Jahren privat fast müllfrei lebe, hat es mir Bauchschmerzen bereitet, als konventionelle Friseurin und Fachtrainerin weiterzumachen.

„Wir sind der erste müll- und plastikfreie Friseursalon mit Kosmetik in Deutschland. Alle Rohstoffe, die verwendet werden, sind bio-zertifiziert, nachhaltig, ohne Mikroplastik oder sonstige Silikone oder Flüssigplastik.“

Wie hat die Branche Deinen Entschluss aufgenommen?

In den letzten Jahren war ich als Fachdozentin bei der Meininghaus Akademie tätig und es kam immer wieder zu Fragen, wie ich denn so lebe ohne Shampoo, Spülung usw. Axel Meininghaus hat sich sehr intensiv mit dem Thema Kunststoffe in Friseurprodukten beschäftigt. In den Seminaren haben wir das Thema immer mit einfließen lassen mit der Erwartung, dass Friseure mehr hinterfragen, welche Inhaltsstoffe in den Produkten sind und was sie mit dem Haar, der Kopfhaut, dem Hormonhaushalt oder sogar mit der Umwelt machen, wenn sie den Abfluss runtergespült werden. Denn bislang können diese Kunststoffe nicht gefiltert werden.

Nachhaltigkeit im Salon - kostenlose Ratgeber-PDF

Mit unserem neuen Ratgeber-PDF „Nachhaltig arbeiten & massiv sparen“ liefern wir Euch die besten Tipps und Tricks, wie Ihr im Großen, aber auch im Kleinen jeden einzelnen Tag im Salon nachhaltig arbeiten – und dabei richtig Kohle sparen könnt.

Und dabei lasst Euch eines gesagt sein: Friseursalons haben eine Wahnsinns Menge an Einsparpotenzialen! Viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren. Euer Geldbeutel und die Umwelt werden es Euch danken!

Wie viel gedanklicher und finanzieller Aufwand war nötig, um den Zero Waste Salon zu realisieren?

Natürlich braucht es Mut zur Selbstständigkeit. Da ich vollkommen überzeugt bin, dass dieses Konzept zukunftsweisend ist und es viele Nachahmer geben wird, habe ich keinen Moment daran gezweifelt. Es hat ein halbes Jahr Gedankenarbeit, ein Jahr Gründungszeit und 100.000 Euro gebraucht, damit ich den Salon mit Kosmetik und Fußpflege einrichten konnte.

Der Salon befindet sich in einem ehemaligen Sanatorium, welches sich zur Gründerzeit mit dem Naturheilverfahren und basischer Ernährung einen sehr guten Namen gemacht hat. Hier haben schon Franz Kafka, Marlene Dietrich, Heinz Rühmann, Thomas Mann und Theodor Fontane gekurt. Alles, was ich im Salon an Interior, Rohstoffen und Materialien habe, ist langlebig, natürlichen Ursprungs oder kann wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden.

„Ich möchte in erster Linie ein Vorbild sein und allen zeigen, dass die Liebe das wichtigste Gut auf dieser Erde ist!“

Wie würdest Du Deine persönliche Veränderung beschreiben, die Du durch diesen nachhaltigen Lebensstil vollzogen hast? 

2015 hatte ich durch die Geschehnisse in der Welt, wie etwa der Flüchtlingskrise, einen extremen Lebenswandel und stellte alles in Frage: Was esse ich, wie gehe ich mit mir um, wie will ich mit anderen Menschen und meiner Umwelt umgehen? Meine Antworten darauf haben zu meiner jetzigen Lebensweise geführt. Ich möchte in erster Linie ein Vorbild sein und allen zeigen, dass die Liebe das wichtigste Gut auf dieser Erde ist! Liebe zu den Menschen, den Tieren, der Pflanzenwelt und zu sich selbst.

Geht es bei Deinen Kunden um nachhaltigen Lifestyle oder/und um Gesundheit?

Es geht um das Nachhaltige, das Gesunde. Sie wollen zu sich kommen und Ruhe finden. Und es geht um die Qualität des Handwerks und um die Menschen.

Welche Erfahrungen haben Deine Kunden mit konventionellen Friseuren gemacht? Warum folgen sie nun Deinem Konzept?

In erster Linie klagten einige Kunden über Unverträglichkeiten mit der Haarfarbe, über ein Nachlassen der Qualität des Handwerks und des Service. Einige Kunden hinterfragen vermehrt die Produkte, die im Salon benutzt und verkauft werden. Bei uns stehen Beratung und Aufklärung im Vordergrund. Wir beginnen immer mit einem Bild der eigenen Kopfhaut in Nahaufnahme und dem Abreinigen von Verklebungen auf der Kopfhaut oder dem Haar.

Wie verändern sich die Haare durch die Behandlung eines Naturfriseurs?

Meist merkt die Kundin nach einigen Terminen bei uns, dass sie total lebendige, kräftige Haare mit eigenem Willen hat. Oft entdecken die Kundinnen ihre Locken oder Wellen wieder, jetzt, wo alles befreit und natürlich ist und keine Farbe mehr das Haar willenlos macht. Die Haare glänzen auf einmal lange und richtig schön natürlich.

„Mit Pflanzenhaarfarben kann man wunderschöne Farbeffekte erzielen; man kann sogar gezielt Akzente setzen"

Wie lang dauert der Prozess, um wieder „natürliche Haare“ zu bekommen?

Es hängt immer davon ab, ob die Haare chemisch vorbehandelt sind mit Farbe. Hier hilft es nur die Haare herauswachsen zu lassen. Die Kundin wird schon nach wenigen Monaten merken, wie kräftig der Ansatz herauswächst. Ob wir nun farblich dabei helfen oder nicht. Bei ungefärbtem Haar hat man das Ergebnis meist nach dem ersten oder zweiten Friseurbesuch, je nachdem, wie stark das Haar oder die Haut verklebt sind.

Balayage und andere Färbetechniken sind im Trend – sind diese Farbnuancierungen auch mit Naturfarben möglich?

Mit Pflanzenhaarfarben kann man wunderschöne Farbeffekte erzielen; man kann sogar gezielt Akzente setzen. Wir können eine halbe Tonhöhe der Naturhaarfarbe aufhellen, in gleicher Tonhöhe wunderbar nuancieren oder dunkler färben in warmen und kalten Tönen. Wir können auch zu 90 Prozent weißes Haar abdecken. Wir färben mit Satuscolor von CulumNatura.

Also sind Naturfarben konkurrenzfähig?

Definitiv sind Pflanzenhaarfarben konkurrenzfähig. Aber auch die wahre Pflanzenfarbe muss erst gefunden werden. Es gibt viele Firmen, die hier mithalten wollen. Ganz wichtig: immer hinterfragen und Inhaltsstoffe und Herkunft checken!

Wie kannst Du damit Premiumergebnisse erzielen? 

Ich kann leider nicht nachvollziehen, was ein Premiumergebnis ist. Wir können jedoch allen Kunden einen Weg anbieten, um schönes, gesundes und glänzendes Haar zu bekommen – egal, ob gefärbt oder naturbelassen.

„Wir achten darauf, dass alle Zutaten ohne Verpackungsmüll geliefert werden: sie sind entweder in Glas, in Papier oder in Großgebinden abgefüllt.“

Bei manchen funktionieren Naturprodukte nicht auf Haut und Haar, sondern führen zu Allergien – was hast Du da für ein Rezept?

Unsere Pflanzenhaarfarben eignen sich, um die Kopfhaut zu beruhigen und zu heilen. Wir nutzen sie als Kurpackung in farblos. Im konventionellen Bereich würde man es Glossen nennen. Wir hatten noch keine Kundin, die auf einen Inhaltsstoff oder Rohstoff negativ reagiert hat.

Wann und wo stellst Du Deine Produkte her?

Unser Leinsamen-Gel (als leichter Gel-Festiger und Locken-Gel zu benutzen) wird jede Woche produziert, da wir davon viel brauchen. Es wäre zwei Wochen haltbar. Ansatzfestiger mischen wir alle drei bis vier Monate, sowie Haarspray und Feuchtigkeitsspray. Wachs und Mattpaste stellen wir alle sechs Monate her. Die Produkte sind super ergiebig und halten lange. Die Herstellung ist nicht so zeitraubend, wie man sich vielleicht vorstellt. Manchmal koche ich Leinsamen-Gel vor dem Öffnen des Salons, manchmal kümmert sich eine Kollegin in einer Einwirkzeit darum. Wir stellen Ansatzspray, Flüssigfestiger, Feuchtigkeitsspray, Gel-Festiger/Locken-Gel, Haarspray, Haaröl, Kopfhauttinkturen, Haarwäschen und Spülungen her. Ich biete seit Januar Workshops dazu an!

Konventionelle Salons setzen auf den Umsatz durch Produktverkauf – wieso verzichtest Du auf das Geschäft?

Einige wenige Produkte verkaufe ich im Salon: Seifen, Öle, Haarbürsten. Tatsächlich braucht weder die Kopfhaut noch das Haar viele Produkte. Wir geben den Kunden gezielt Empfehlungen, Rezepte oder Anleitungen mit. Manche empfinden den üblichen Produktverkauf auch als nervig und unnötig. Ich bin für einen lockeren Umgang – und vielleicht verkaufen wir aus diesem Grund Bürsten für 114 Euro sensationell gut! Was uns mehr Umsatz verschafft, ist definitiv der Calligraphy Cut! Ich schneide etwa 95 Prozent meiner Kundinnen und Kunden damit und nehme einen Aufpreis von 15 Euro für diese Art des Haarschnitts. Meine Kolleginnen sind bei etwa 70 Prozent Calligraphy Cuts.

„Wer sagt denn, dass Öko und Luxus/Premium nicht zusammengehören? Und was bedeutet überhaupt Premium?"

Du kompostierst Abfälle in einer Wurmkiste. Beauty und Würmer - wie geht das zusammen?

Wunderbar! Die meisten Menschen nehmen die Wurmkiste aber nicht wahr. Sie riecht nicht und steht im Salon. Leider können wir nicht alle Haare hineingeben, da die Würmer es sehr langsam verarbeiten. Trockenes Hornmaterial schmeckt wahrscheinlich nicht so gut.

Passen Öko und Premium zusammen?

Diese Frage ist mir total wichtig!! Wer sagt denn, dass Öko und Luxus/Premium nicht zusammengehören? Und was bedeutet überhaupt Premium? Das Naturfriseur-Image benötigt ein Aufarbeiten! Wenn wir Naturfriseur-Salons eröffnen, dann dürfen sie nicht klein sein oder einen Wohnzimmer-Charakter haben. Die Nachfrage bei Kund*innen ist groß. Ein kleines Geschäft kommt schnell an seine Grenzen und kann nicht wachsen! Ein Friseurgeschäft sollte sich in erster Linie durch seine Qualität der Arbeit und den Service definieren. Dazu gehört auch, dass man sich Zeit nimmt für die Kund*innen – mehr Zeit kostet natürlich mehr Geld.

Ist Nachhaltigkeit heutzutage ein Merkmal eines Premium Salons?

Ja! Aus meiner Sicht gibt es in Zukunft keine anderen Friseurkonzepte.

Du hast Dich für den sächsischen Gründerpreis beworben - kann Dein Zero Waste Konzept von anderen Salons übernommen werden?

Ja. Ich arbeite gerade an einem Schulungskonzept, um andere Salons auf den Weg zu bringen oder zu begleiten in Richtung Nachhaltigkeit.

Warum gehst Du in Sachen Haarkosmetik komplett eigene Wege statt auf einen Full-Service-Partner zu setzen?

Ich finde es grundsätzlich nicht gut, wenn sich ein Friseursalon durch eine Firma identifiziert. Soll die Produktauswahl alles über das Können der Friseure oder die Qualität der Arbeit aussagen? Ich finde, dass es der falsche Weg ist. In den Salons der Zukunft sollte respektvoll mit den Kund*innen und Mitarbeiter*innen, den Tieren und der Umwelt umgegangen werden. Er sollte ein Ort sein, wo man abschalten kann und man professionell und ehrlich beraten und aufgeklärt wird.

Heißt Zero Waste auch, sich von negativen Energien zu befreien?

Wunderbar, dass Du das ansprichst. Mir war es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem ich gern bin, mit tollen Klängen, schönen Düften, wunderbaren Menschen, viel Licht, viel Freiraum. Und mit Luft zum Atmen. All das macht mich glücklich. Ich kann meine Akkus aufladen und mich von negativen Energien befreien. Meine Kund*innen und Mitarbeiterinnen sind sehr dankbar dafür.

Umweltschutz kann Spaß machen! Auch, nein erst recht, beim Friseur. Denn wer denkt, dass klimapositive Salons genussfeindliche Haarschneidebuden ohne jeden Wellnessfaktor sind, irrt! Jan Borchert ist – zusammen mit Friseur Carlos Weiss – Gründer von „Cut Climate Change“, ein speziell für Friseur*innen gegründeter Bereich der Deutschen Gesellschaft für klimaneutrales Handwerk (DGKH).

Er ist leidenschaftlicher Förster und spricht mit uns über sinnvolle CO2-Reduktion durch Verzicht, der keinem weh, sondern nur allen gut tut.

Weiterlesen

Als Hair & Beautyunternehmen geht La Biosthétique mit gutem Beispiel voran und arbeitet schon seit 2020 klimaneutral. Jetzt ziehen sogar die Salonpartner nach! Die Pforzheimer Marke mit französischen Wurzeln unterstützt ihre Partnerfriseure darin, sich als “klimaneutrale Salons” aufzustellen. Damit übernimmt sie eine Pionierrolle in der deutschen Friseurlandschaft!

Wir haben Dr. Christian Ader, CEO bei La Biosthétique, zur beispielhaften Klima-Initiative befragt.

Weiterlesen